Kirgistan - Enylchek Gegend

 Endlich konnte ich nach Enylchek aufbrechen. Leider war nun nicht mehr so viel Zeit, die geplante Route zu gehen. Jetzt waren nur noch drei Tage uebrig. Mir war empfohlen worden, mit dem Bus bis Ak Bulak zu fahren und dann zu trampen. Also tat ich das. Enthusiastisch frueh brach ich vom Hostel auf und musste dafuer zwei Stunden an der Bushaltestelle im Markt warten. Erst neun Uhr erschien der Bus und fuhr, nachdem alle Sitzplaetze besetzt waren, gegen halb zehn Uhr los. Von Ak Bulak aus wurde ich sehr bald von einer Familie eingeladen, die sich schon zu zehnt, davon vier Erwachsene, in das kleine Auto quetschten. Irgendwie passt immer noch jemand rein. Das Innere der Autos scheint in Europa unerklaerlich viel kleiner zu sein. Vielleicht leiern die Dinger im Alter aus?



Nachdem ich mindestens zehn Kilometer gelaufen war, wurde ich in eine Jurte zum Tee eingeladen. Immer gleich ist die Zeremonie, man wird eingeladen, das Teewasser ist auf dem staendig feuernden Herd immer bereit, es wird Brot gebrochen und auf dem mittig stehenden Tisch ausgebreitet und dazu Butter, Marmelade oder was sonst so da ist bereit gestellt. Auch wenn ich kein Kirgisisch kann, versteht man sich doch irgendwie. Hier, noch relativ nahe an der Zivilisation, sind die Jurten noch recht reich geschmueckt.

Nicht weit hatte ich mich von der Jurte entfernt, als auch schon ein Auto hielt. Sehr viel Verkehr ist auf der endlos langen Schotterpiste nach Enylchek nicht. Die paar Touristen die hier in ihren Mega-Jeeps entlangfahren, halten natuerlich nicht. Zwei Geologen nahmen mich gegen ein kleines Entgeld mit. Da ich ja auch noch irgendwie zurueckkommen musste, konnte ich ihnen auch nicht mehr als umgerechnet fuenf Euro geben. Wie von Armut gebeutelt sahen die beiden nicht aus. Wahrscheinlich war die Intention der Fahrt, Bekannte im Tal zu treffen. Ueberall wo jemand wohnte, selbst wenn es von aussen nicht so aussah, wurde gehalten und immer wieder gab es die gleiche Zeremonie des Teetrinkens und Brotbrechens. So hatte ich die Gelegenheit, mehrere Heime von Innen besichtigen zu duerfen. Auf 3800 m erreicht man einen Pass. Hier stehen einige mehr oder weniger intakte Gebaeude. Das beste derer ist von einem mittelalten Paerchen bewohnt. Gerade war die Frau dabei, sich die Haare zu faerben, was der Gastfreundschaft aber keinen Abbruch tat. Von einer alten Autobatterie war die Innenbeleuchtung gespeist. Es gab einen Gasherd und ein, ueber einen mit Plastikflaschen gefuellten Abhang balancierendes, absturzgefaehrdetes, doch recht sauberes Plumpsklo.



 


Insgesamt dauerte die 140 km Fahrt von Karakol bis Enylchek ewig. Von Ak Bulak aus sind es noch 106 km Schotterpiste. Der sporadisch verteilte Asphalt ist eher nicht der Rede wert. Nach 70 km trifft man auf die wahrscheinlich sehr gelangweilten, netten Grenzbeamten die dann endlich mein hart erstandenes Permit kontrollierten. 

Von dem weiten, fast schmerzhaft gruenen Tal mit grossen Herden halbwilder Pferde die zufrieden am Ufer des schlumpfblauen sich durchs Paradies schlaengelnden Flusses grasten, aenderte sich die Landschaft in eine immer enger werdende Schlucht. Zu beiden Seiten wurden die Waende stetig steiler und leuchteten teilweise in satten Rottoenen. Grosse Felsbrocken engten die schmale Strasse gerade soweit ein, dass noch ein Auto hindurchpasste. Ohne Allradantrieb braucht man sich hier nicht auf den Weg machen. 

Ploetzlich war etwas Buschiges vor uns. Im ersten Augenblick dachte ich, es waere ein Wolf. Kurz lief es vor uns die Strasse entlang und erklomm dann den rechtsseitigen Abhang wo es in seiner Tarnung fast unterging. Es blieb stehen und beaeugte uns ungefaehr eine Minute lang genauso aufmerksam, wie wir es beaeugten. Ein Schneeleopard! Nie im Leben haette ich gedacht, dass ich einen treffen koennte. Dass sie hier wohnen, das wusste ich, aber dass ich jemanls zu den Gluecklichen gehoeren wuerde, die sie auch zu Gesicht bekommen? Komisch, dass ich immer wieder gefragt werde, ob ich nicht Angst vor Woelfen oder Katzen haette. Wo diese imposanten Tiere doch so selten zu sehen sind und die Anwesenheit von Menschen und Autos und all den schrecklichen Dingen doch viel gefaehrlicher ist.



Im Snow Leopard Hostel hatte ich von den heissen Quellen bei Enylchek erfahren und wollte erstmal dorthin. Die beiden Geologen hatten das gleiche Ziel und nahmen mich mit, nicht ohne in Enylchek nach Vodka zu suchen. Dabei waren sie nach einer Weile und nach Abklappern verschiedener Wohnhaeuser, sogar erfolgreich. Nun darf man sich Enylchek nicht als normalen Ort vorstellen. Einst wurde er als Unterkunft fuer die Arbeiter der Goldmine gebaut und grosszuegig angelegt mit bis zu fuenfstoeckigen, grossen Wohnblocks die nie bezogen wurden. Nur wenige Familien leben hier abgeschieden vom Rest der Welt und freuen sich augenscheinlich ueber jeden Besuch. Wie in einer kleinen Oase inmitten der Geisterstadt spielen Kinder auf einem gepflegten, gruenen Fussballfeld.

 




Eine recht voluminoese Frau, die sicher wesentlich juenger war als sie aussah, reichte mir ein Schnapsglas nach dem anderen, erstaunt darueber, wie langsam ich daran nippte, anstatt es einfach hinterzukippen. Trotz Sprachbarriere sorgte meine exotische Anwesenheit immer fuer Neugier und Freude. Stets gut gelaunt scheinen die Menschen hier in ihrer einfachen Umgebung, fern ab vom Zivilisationsmuell und der Konsumgeilheit unserer westlichen Gesellschaft, wo die Mehrheit der Menschen chronisch unzufrieden scheint, trotz oder wegen des sie umgebenden, ueberfluessigen Luxus.

Es war schon dunkel geworden, als wir Enylchek leicht betrunken verliessen und der immer holpriger werdenden Piste weitere fuenf Kilometer aufwaerts Richtung Sueden bis zu den heissen Quellen folgten die sich neben einem matschgrauen, reissenden Strom an eine Felswand schmiegen. Das Wasser ist heiss, und Abkuehlung kann man sich in dem kalten Wasser, ohne davongeschwemmt zu werden, nicht goennen. Nach einem zweiten Bad am naechsten Morgen ging es zurueck. 



Meine urspruenglich geplante Wanderung von Enylchek aus konnte ich nun aus Zeitmangel nicht mehr unternehmen, da ich mich spaetestens am 10.07. mit Sewa in Bishkek treffen will und der Erhalt des Permits doch ein wenig gedauert hat. Die auf meiner Karte eingezeichnete Bruecke, ueber die ich haette den Pass erreichen koennen fuer eine abgespeckte Variante, gab es nicht. Nun musste ich schauen, wo ich statt dessen aussteigen wollte. Der Strom, der von der Strasse begleitet wurde, war spaerlich mit Bruecken gesegnet. Noch weniger, von vertrauenerweckenden Bruecken. Einen geeigneten Ausgangspunkt fand ich dann direkt an der Grenzkontrolle.





Von hier zweigt eine Strasse Richtung Osten ab und in der Karte war ein Weg eingezeichnet, der noerdlich des Passes wieder auf die Strasse fuehrt. Nur 45 km lang, aber ich wollte diesmal auch ganz gemuetlich wandern. Auch diese Strasse beigleitet ein Fluss. An seinen Ufern erheben sich leuchtend gruene Huegel und sogar eine Stromleitung ziert die Piste. Diesmal traf ich kein einziges Auto. Erst kurz vor dem Abzweig in das nach Norden fuehrende Tal traf ich ein paar Grenzpatroullisten. Wieder fing es an zu regnen. Schon bald traf ich auf eine Behausung und wurde erneut zum Tee geladen.







Die junge Frau war ueberaus reizend. Ueber das ganze Gesicht strahlend bot sie mir allerhand zu Essen und zu Trinken, sogar Vodka, an, aber das war eindeutig noch zu frueh. Ueberaus ruehrend empfahl sie mir etwas namens Kuhscheisse. Da es jedoch nicht das war, wonach es sich anhoerte, sondern kleine, mit Vogelfleisch gefuellte Teigtaschen, konnte ich es leider nicht essen. Dafuer nahm ich von dem ueberaus leckeren Brot, das sie gebacken hatte. Ihre Kinder hatten Spass, mit meinem Kindle zu spielen. Leider stellte sich heraus, dass in dem neu erworbenen Russischbuch, keine fuer meine Zwecke adaequaten Vokabeln vorhanden waren. Zwar sprechen die meisten Nomaden kein Russisch, die liebe junge Frau hier, verstand es aber sicher besser als ich. Die letzten Tage hatte sich mein Vokabular dank meiner Mitfahrgelegenheit auch stark erweitert, jedenfalls um einige Tiernamen.

Nachtrag: Spaeter fragte ich Sewa was Kuhscheisse ist. Vielleicht konnte er mir sagen, was man da traditionell reintut. Die Antwort war etwas ueberraschend fuer mich, lehrte mich aber wieder eine gute Lektion in Russisch. Es bedeutet "Essen Sie!"

So romantisch das Leben hier im Sommer anmutet, so hart ist es sicherlich im Winter. Ich bin froh, dass es hier noch Menschen gibt, die tatsaechlich mit der Natur leben. Auch wenn mir ihre karnivore Lebensweise  nicht so zusagt. Ihre Tiere leben in Freiheit in einem Paradies. Fuer mitteleuropaeische Verhaeltnisse scheinen die Behausungen natuerlich aermlich, aber wieviel reicher ist ihr Leben gegenueber unserem, wo jeder nach Konsum und immer mehr und mehr materiellem Reichtum strebt. Die Menschen hier scheinen eine geradezu unschuldige Freude am Leben zu haben. Zwar spielen auch hier die Kinder mit Handy, Empfang gibt es aber nicht. Jeder durchschnittliche Mitteleuropaeer verbraucht mindestens hundert mal so viel Ressourcen. Wo der Wert eines Menschen vornehmlich daran gemessen wird, was er besitzt. Finanzieller, statt ideologischer Reichtum.


Immer weiter leicht ansteigend ging es das idyllische Tal hinan. Heute schaffte es die Sonne nicht mehr, einen Regenbogen ins Nass zu zaubern. Auf knapp 4000 m lag der zu ueberwindende Pass. Zu spaet fuer heute. Einen huebschen Fleck fand ich nicht weit vom Beginn des nun sehr schmalen Baches mit atemberaubendem Blick auf das sich unter mir ausbreitende, wie von einem gruenen Teppich ueberzogene Tal. Vor mir nur noch Fels, Schotter, Schnee und Eis. Sobald ich mein Heim errichtet hatte, fing es auch schon an zu schneien. Stress aufzustehen hatte ich am naechsten Morgen nicht, da ich nun schon ueber die Haelfte des Weges hinter mich gebracht hatte. So konnte mein Zelt nicht nur enteisen, sondern sogar fast komplett trocknen.






Die 250 schottrigen Hoehenmeter waren ganz schoen muehsam. Einen Weg gab es nicht. Dafuer wurde ich wieder einmal mit atemberaubenden Ausblicken belohnt. Noch sass ich am Gipfel in der Sonne, um mich herum fielen Regen und Schnee zu Boden. 













Noch muehsamer als der Aufstieg und auch mindestens doppelt so lang, war der Abstieg auf der anderen Seite. Auf der Karte fuehrte der Weg rechtsseitig des Baches entlang und weiter unten in dem weiten Tal ueber diesen hinweg. Meine Erfahrung lehrte mich, dass die eingezeichneten Ueberquerungen nicht immer ohne Risiko fuer Leib und Leben moeglich waren. So beschloss, ich, gleich von Anfang an auf der anderen Seite zu gehen. Die von oben so idyllisch gruen schimmernden Wiesen waren zwar optisch eine Augenweide, zum Gehen allerdings weniger optimal, wenn auch wesentlich einfacher als die Schotter Abfahrt. Viel Sumpfgebiet saeumte die glasklaren Baeche. 

Manchmal kam ich mir beim Pinkeln ganz schoen beobachtet vor.

 

Fuer eine Uebernachtung an der auserkorenen Stelle an dessen Ufer war es noch viel zu frueh. Ohne Probleme konnte ich bis auf den naechsten Pass aufsteigen. Sogar einen Weg gab es hier. Und wieder Regen. Diesmal gab es sogar fuer kurze Zeit einen Regenbogen zu bestaunen. Die das Tal umsaeumenden, roten Felsen leuchchteten auch ohne Sonnenschein. Ein flacher Blumenteppich ueberzog den Pass. Der Blick reichte weit in beide Richtungen. Wahrscheinlich konnte ich sogar Kahn Tengri (hoechster Berg Kasachstans) und Pobeda (hoechster Berg Kirgistans) sehen. Nur wusste ich nicht, die Berge in der Ferne zu unterscheiden.







Nach nur einer dreiviertel Stunde erreichte ich am naechsten Morgen die Strasse und wurde nach weiteren ca. zwei Stunden von einem Erde geladenen LKW mitgenommen. Zwar wehte mir die gesamte Fahrt ueber Dreck ins Gesicht, aber schoen wars trotzdem! 


Auf dem Rueckweg nach Bishkek wollte ich, obwohl ich bereits gehört und gelesen hatte, dass es sehr touristisch sei, einen Blick auf die Nordküste des Issyk Kul werfen und suchte mir hierfür ein kleines Örtchen aus, in der Hoffnung, einen hübschen, unbevölkerten Strandabschnitt zum Zelten zu finden.

Was soll ich sagen, es ist schwer zu beschreiben. Das kirgiesische Pendent zur ekelerregenden Isla Mujeres in Mexico. Chok Tal ist eher eine Hotelsiedlung. Wobei die Hotels wie Reihenhäuser aneinanderliegenden Ferienhäusern im Stiel US amerikanischer Subburbs gleichen. Überbordend mit Rosen geladene Vorgärten und kurz gehaltene Rasen können aber trotzdem nicht über die Schäbigkeit der Wohlstandsimitate hinwegtäuschen. Alles wirkt so deplaziert. Auf der anderen Seite der Mauern häuft sich der Müll und auch am Strand, ob stark oder weniger stark frequentiert von urlaubenden Kirgisen und Kasachen. An den umhierliegenden Plastikflaschen und -tüten scheint sich keiner zu stören. Im Gegenteil, alles, was nicht mehr gebraucht wird, wird, wo man eben geht und steht, einfach fallen gelassen oder in den nächsten Busch geworfen.

In das Innere dieser Anlagen zu gelangen, ist recht einfach, aber den Weg wieder herauszufinden kostet schon mehr Spürsinn und ließ mich manches Mal, in meinem Drang nach Freiheit, fast verzweifeln. Einfach nur so schnell wie möglich weg wollte ich aus diesen "heile Welt vorgaugelnden" Ferienpalästchen wo selbst die Getränke im Restaurant in Plastikbechern mit wenn schon dann zwei Plastikstrohhalmen, serviert werden.

Ich fand dann zwar nach Ewigkeiten des Umherlaufens an der gut asphaltierten Schnellstrasse, die die Issyk Kul Nordküste ziert ein recht nettes Plätzchen, dort wohnten ein paar ältere kirgisische Damen in ganz beschaulich wirkenden Jurten und gaben mir zu verstehen, dass man am Strand nicht zelten dürfte. Nur komisch, dass da schon drei Zelte standen. Ich gesellte mich also zu ihnen, ein paar Meter abseits in die ameisenbevölkerte Wiese. Weniger Menschen, weniger Müll, trotzdem noch genug, Wagenladungen damit zu füllen.










Eingestellt von Katrin

3 Kommentare:

  1. Wow Katrin, great to know your doing well in Asia, me da gusto saber que la estes pasando bien por allá, Saludos. Pedro

    AntwortenLöschen
  2. Those places seem very lonely very remote, it looks that's hard to find people around. Great you could picture the snow leopard, so hard to find around animals. Pedro

    AntwortenLöschen
  3. Du hast einen Schneeleopard gesehen. Was für ein Traum. Stephan :)

    AntwortenLöschen