Kirgistan - Karakol Gegend

 Als ich am 30.06.2023 von der Haltestelle des geteilten Taxis in Karakol zu meinem Hostel lief, war das ganz anders als in allen Orten, die ich bisher in Kirgistan besucht hatte. Intakter Asphalt ueberzieht die Strassen, flankiert von ordentlichen, ebenfalls asphaltierten, geraden Fusswegen. Alles sieht irgendwie gepflegter aus. Bei meiner Recherche zu einem geeigneten Schlafplatz hatte ich mich bereits ueber das riesige Angebot wirklich guter Hostels gewundert. Die Entscheidung fiel schwer und fiel auf das Duet Hostel. Alle Angestellten sprechen recht gut Englisch und die gesamte Anlage ist sehr gepflegt. Uebernachtungen sind sehr guenstig, Essen und Trinken im Vergleich zu dem, was ich bisher gewohnt war nicht, im Vergleich zu Europa natuerlich immer noch sehr erschwinglich. Es gibt verschiedenste Kaffees auch mit veganer Milch. Gerade erfreue ich mich eines Eiskaffees. Sehr bald erfuhr ich, dass Karakol das kirgiesiche Touristenparadies schlechthin ist. Ich hatte es, nach einem Blick auf die Karte, nur als Ausgangspunkt fuer die Wanderung in der Enylchek Gegend auserkoren.

Einem der Angestellten berichtete ich von meinem Permit Problem und bekam den Kontakt zum Snow Leopard Hostel. Hier kann man ein Permit innerhalb von zwei Tagen fuer 25 Dollar erhalten. Verschiedene Touren werden angeboten, auch zu Pferd. Da ich nun etwas Zeit totzuschlagen hatten, liess ich mich leicht zu einer Pferdetour mit Adl ueberreden (Umgerechnet ca. 30 Euro pro Tag fuer den Guide und 15 fuer das Pferd. Mit mehreren Personen wuerde es also guenstiger.)

Schon am naechsten Morgen ging es hinein in das schoene Karakol Tal, vorbei an einer Lehmziegelfabrik deren steile Schotterpisten von alten sowietischen Fahrzeugen in suizidaler Geschwindigkeit hopsend frequentiert wurden. Bruetend heiss war es hier unten, kaum Schatten. Nach Passieren des Nationalparkeingangs fuer ca. 2 Euro wurde alles etwas gruener. Immer entlang des Karakolflusses fuehrte der Weg. Erstaunlich viele Autos ueberholten uns und huellten uns in dichte, atemberaubende Staubwolken. Ausgediente sowjetische Militaerfahrzeuge, die nun als Touristenschaukel dienen und mit jeder Fahrt die matschgefuellten Gruben in der Strasse vertiefen, fahren soweit als moeglich, was unsereiner fuer unmoeglich halten wuerde, in die wunderschoene Landschaft hinein. In meinen Augen sollte das verboten werden. Wer Natur erleben will, sollte das auf der anderen Seite der Fensterscheibe tun, nicht vom Auto aus. Aber da Menschen immer fauler werden und das virtuelle Leben das reelle immer mehr abloest, wird es sicher eher schlimmer als besser werden. 





Inklusive Pause waren wir auf den 23,5 km und 800 Hm bis zu einer kleinen Haengebruecke, wo der Wanderweg zum Ala Kul Lake beginnt, ungefaehr fuenf Stunden unterwegs. Gletscherfarbenes Wasser maeandert mal seicht, mal in reissender Geschwindigkeit, kontrastreich durch gruene, von Pferde- und Kuhmäulern kurzgehaltene Wiesen. Links und rechts erheben sich immer steiler und hoeher die Tien Shan Berge. Bereits am Beginn des Weges war ich überrascht über die Anzahl der Wanderer die wir hier antrafen. Nachdem ich Adl und die Pferde am idyllisch gelegenen Jurtencamp zurückließ, begegnete ich immer mehr Menschen. Auf dem kurzen Weg zum See waren zwei große Camps eingerichtet. Anscheinend kommt jeder Tourist, der Kirgistan besucht, hierher, um zum Ala Kul zu wandern. Dabei gibt es in diesem Land, abgesehen von den Städten, fast keinen häßlichen Flecken. Warum zur Hölle, kommen alle Menschen an die gleiche Stelle?

 

An diesem kleinen See gelegen ist das erste Camp zwischen Tal und Ala Kul. Das Foto menschenfrei zu bekommen, dauerte eine Weile.

Zum Glück übernachten die meisten weiter unten in den Camps und nicht oben am See. Nach knapp drei Stunden erreichte ich mein Nachtlager. Allein an dieser einen Campsite, direkt am Beginn des Sees, fand ich wieder einmal Massen an Müll vor. Diesmal hatte ich nur das Allernötigste eingepackt und daher noch Platz in meinem Rucksack, den Dreck wieder nach unten zu transportieren. Wieviel Dummheit, Egoismus und ich weiß nicht was für dämliche Gründe gehören dazu, an diesem Ort, zu dem Menschen tausende Kilometer weit reisen um ihn zu sehen, achtlos ihren Zivilisationsscheiß liegen zu lassen? Mittlerweile, nach so vielen Reisen, müßte ich es gewöhnt sein. Aber immer noch macht es mich sprachlos und wütend zu sehen, wie die Menschheit mit dieser wunderschönen Welt umgeht. 






Es war schon sieben Uhr abends. Ich bereinigte die Umgebung meines Schlafplatzes, probte den Sprung über den Abfluß des Sees den ich am nächsten Morgen mit Gepäck vollführen wollte ohne dabei in den sich unterhalb anschließenden Wasserfall zu stürzen, schöpfte Wasser und baute mein Zelt auf. Ganz ruhig lag der spiegelnde, hellblaue See, umrahmt von steilen, teils schneegefüllten Bergflanken unter dem wolkenlosen Himmel auf 3500 m. In leuchtendem Orange erstrahlten die Felsen auf der gegenüberliegenden Uferseite in der Abendsonne. Wenig später erhellte der fast volle Mond das Innere meines Zeltes und strahlte an der Oberfläche des Sees im wellenlosen Wasser wider.

Ganz zeitig stand ich diesmal auf. Zwischen elf und zwölf wollte ich zurück bei Adl und den Pferdies, Negro und Moreno, sein. Während des kurzen Anstiegs zum Pass quälte mich schon bald die Morgensonne. Oben, auf 3700 m, eröffnete sich der Blick auf die gletscherbedeckten, hohen Berge im Süden und über den gesamten See, auf dessen Ostende restliche Eisschollen im ruhigen Wasser trieben. 

 











Innerhalb einer Stunde erreichte ich in leichter Kraxelei den 4083 m hohen Gipfel des westlich des Passes aufragenden Berges. Nur der Gipfel selbst war von Gletscher bedeckt, der gesamte Weg bis dorthin schneefrei. Von hier oben sah man bis zur Bergkette nördlich des Issyk Kul Sees.

Auf der anderen Seite des Passes hinab waren es nur fünf einhalb Kilometer bis zum Treffpunkt. In dem weglosen Gelände allerdings ein langwieriges Unterfangen. Jeder Stein auf den ich trat, rollte unter meinen Füßen weg. Nach kurzem, angenehmen Gehens auf einer Wiese folgte ich einem Bachbett bergab. Gelegentlich konnte ich auf blumenreiche Wiesen ausweichen, was das Gehen nicht angenehmer machte, denn immer noch überzogen die kullernden Steine die Oberfläche, nur schlechter sichtbar. Irgendwann erreichte ich das Tal und stiess auf einen guten Weg. Dort, wo in der Karte eine Brücke eingezeichnet war fand ich mich vor einem tiefen, reißenden Strom. Das hatte ich befürchtet, dachte aber, ich könne auf der hiesigen Seite problemlos bis zu der initial überquerten, kleinen Fußgängerbrücke gelangen. Kurz bevor ich diese erreichte, lag ich ganz gut in der Zeit und nahm ein Bad in einer tiefen, aber seichten Stelle des sich in multiple Arme aufgabelden Flusses. Weniger als ein Kilometer trennte mich noch vom Jurtencamp als am rechtsseitigen Ufer Felswände aufragten die mich, zunächst auf einem Trampelpfad, wieder nach oben ausweichen ließen. Bis zur Brücke führte dieser allerdings nicht. Bald schon sah ich mich in dichtem Gebüsch das mich immer höher aufsteigen ließ. Alles Fluchen half nix. Trotz der Kürze der Distanz, würde ich es nun nicht mehr zum verabredeten Zeitpunkt schaffen. Nachdem ich die erste Müllgefüllte Plastiktüte antraf fand ich dann auch schon bald den Weg wieder. Im Abstieg erst bemerkte ich, wie weit ich wieder aufgestiegen war. Nun war ich tatsächlich bald da, 50 min zu spät. 



Genug Zeit für eine kurze Pause war allemal und Adl war froh, dass ich heil wieder unten angekommen war. So war der Rückweg vom See das genaue Gegenteil vom Hinweg: kein Weg, keine Menschen, dafür etwas Abenteuer.

Wir begaben uns auf den langen Rückritt. Immer wärmer wurde es nach unten zu, bis es, zurück in Karakol, kaum mehr erträglich war. Im Snow Leopard Hostel war Saunaabend angesagt und tatsächlich wurde es bis zum Abend hin so angenehm, dass ich das Angebot dankend annehmen konnte. Zuvor organisierte ich das Bargeld für die Bezahlung des Ausflugs und natürlich durfte auch, wie sich das in den Alpen ebenfalls gehört, das Bier für den Guide und der Wein für mich nicht fehlen.

Bis ich vom Bellen eines schlaflosen Hundes geweckt wurde, versank ich diese Nacht in langen Träumen. 

Eliza brachte mein Permit in Bishkek zum Busbahnhof und gab es einem Fahrer mit nach Karakol. Tatsaechlich klappte alles und am Abend konnte ich es, dank Unterstuetzung aus dem Duet Hostel und eines aelteren Taxifahrers am Busbahnhof, dann in Empfang nehmen. Durch die gesamte Stadt musste ich fuer diese Unternehmung einmal hindurchwandern. Breite, verkehrslose Sandstrassen sind gesaeumt von kleinen, vor vielen Jahrzehnten einmal liebevoll erbauten Haeuschen mit einst huebschen Fensterrahmen und -laeden. Immerzu musste ich daran denken, ob wohl unsere Brauhausstrasse einem aehnlichen Schicksal anheimgefallen waere, waere da nicht der westliche Kapitalismus ueber die DDR geschwappt. Irgendetwas laesst mich glauben, dass unsere aus Scheisse-einen-Bonbon-mach-Faehigkeit dies in diesem Ausmass verhindert haette. Ob die kleinen, vergammelten Haeuschen wirklich leer stehen, weiss ich nicht, aber sie sehen so aus. Anstatt sie zu retten, werden immer neue Haeuser, in wesentlich weniger liebevollem Stil erbaut und verfallen schneller, als sie fertig gestellt werden. Teilweise wirkt die Gegend, als seien die Haeuser fluchtartig vor Decaden verlassen worden. 

In diesem Stil, nur wesentlich unbewohnbarer erscheinend, saeumen die Haeschen die staubigen Strassen in Karakol. Sie wuerden dem Restaurateurinnenherz meiner Mami einige Leben an Arbeit ausfuellen.


Eingestellt von Katrin

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