Sommerexpeditionskurs Trentino 2021

 Sommerexpeditionskurs 2021 Trentino


Wenn es um spannende Geschichten geht, fällt es mir schwer, mich kurz zu fassen und diese hier, hat es absolut nicht verdient kurz gefasst zu werden. Dennoch muss ich, wie beim täglichen Arztbriefschreiben, meine literarische Ader im Zaum halten.

Der 20. Juni 2021 war ein erdrückend heißer Tag und wie dafür gemacht, in einem abgelegenen, gemütlichen Hotel im wildromantischen Trentino den bunten Haufen 19 höchst motivierter Bergsteiger aller deutschsprachigen europäischen Länder, mit denen ich die kommende Woche verbringen sollte, bei einem kühlen Glas Aperol kennenzulernen. Damit wir den Grund unseres Treffens bei all der Entspannung nicht komplett vergaßen, gab es nebenbei noch ein paar medizinische Aufgaben zu lösen bevor unser dreiköpfiges Bergführerteam endlich zu unserer Gruppe stieß, rechtzeitig zum Abendmahl. 

Obwohl wir nach den üppigen Mahlzeiten optimal gestärkt waren, wurde freundlicherweise, um die Teilnehmer nicht gleich zu Beginn abzuschrecken, ein Großteil des Gepäcks mit der Materialseilbahn in unsere nächste Unterkunft transferiert. Lassen wir sie mal als eine moderne Art Yak gelten, wie es vielleicht im Ernstfall hätte sein können.

Unsere Expedition zur Presanella, hinter deren Namen sich keine Backmargarine, sondern der höchste Gipfel der Region verbirgt, begann also sehr entspannt mit einer unterhaltsamen Wanderung zum Refugio Stavèl. Auf den gut 1000 Höhenmetern war also einige Gelegenheit, mit anderen Expeditionsteilnehmern ins Gespräch zu kommen. 

Das rustikale Refugio thront auf knapp 2300 m zu Füßen des schroffen, schneebedeckten Berges mit dem weichen Namen und bietet einen fantastischen Ausblick auf das Val di Sole. Herzlich wurden wir von dem musikalischsten Hüttenwirt aller Zeiten und seinem wunderbaren Team empfangen und verköstigt. 

Auf der geräumigen Terrasse bestanden alsbald alle den wichtigsten Teil des Tages, den Materialcheck. Wem der Aufstieg noch nicht genug Bewegung geboten hatte, konnte an einer nahen, senkrechten aber griffigen Felswand in Begleitung unser Führer das friedliche Wetter für eine Runde Sportklettern nutzen. 

Der Ernst der Ausbildung startete mit realitätsnaher Gruppenarbeit in dem bereits direkt hinter der Hütte dafür optimalen Gelände. 

 


 

Das Gefährlichstes am Bergsteigen, die Anreise, hatten wir bereits hinter uns. Nun galt es, weitere Risiken und deren Bewältigung zu trainieren. Was ist also das nächst Gefährliche am Bergsteigen? Wohl das Fallen, oder? Falltraining ist nicht nur beim Klettern wichtig, sondern auch beim Gehen über Schneefelder. Und weil es so viel Spaß macht, haben wir uns gleich ganz, ganz oft in den unterschiedlichsten Positionen den Berg heruntergekugelt. Ja, ich mag Rumkugeln, nicht nur zu Weihnachten.

Auch wichtig: Fixseilgehen, aber richtig. Man braucht es manchmal tatsächlich, das hatte ich 2016 am Denali in Alaska erfahren. Damals wußte ich noch nicht einmal, was sich hinter dem Wort Ascender verbirgt. Diese praktische Aufstiegshilfe richtig zu verwenden, war der Sinn der interessanten Übung, die uns über eine Felskante viele Meter hinaufbrachte. Auf dem Rückweg konnte man ganz nebenbei erneut seinen Fortbewegungsstil im steilen Schneefeld verfeinern. 

Nach unten abseilen und nach oben prusiken, all das konnten wir üben, solange bis es genug war.

Wer bei all dem nun ins Schwitzen gekommen war, konnte eine Runde im See oberhalb der Hütte mit den noch verbliebenen Eisschollen planschen gehen, bevor die medizinischen Vorträge lockten.

 



Aber genug der Theorie und der Übung. Wir wollten ja auf Expedition. Akklimatisierungstaktik wurde nach theoretischer Aufarbeitung nun auch in die Praxis umgesetzt. Durch den sulzigen Sommerschnee, der manche Expeditionisten unter der Last der mit Zelten, Schlafsäcken, Seilen, Steigeisen, Essen und Getränken beschwerten Rucksäcke fast bis zum Scheitel immer wieder versinken ließ, ging es auf zum Basislager auf 2600 m.

 


 

Unter der Last wirkte der Weg wesentlich weiter als er war. Irgendwann aber kamen wir auf einer nicht sehr großen Fläche auf einem Moränenkamm an, wo wir uns häuslich einrichten konnten. Ob auf Fels oder Schnee man sich betten wollte, blieb ganz den persönlichen Präferenzen überlassen.

 


Nach einer kleinen Rast und Ablage aller für die Besteigung des 3280 m hohen Monte Cercen nicht benötigten Gepäckstücke ging es weiter. Unsere drei unermüdlichen Bergführer stapften schnellen Schrittes voran, um die steile, schneegefüllte Rinne, die zum Gipfelgrad hinaufführt, zunächst mit Fixseilen zu versehen. Das zuvor Geübte, sollte schließlich in die Praxis umgesetzt werden. Derweil warteten wir und genossen den Ausblick. Für manch einen Ungeduldigen setzte eine Phase der Langeweile ein. Nun ja, das muss auch sein. Das Wichtigste am Bergsteigen ist schließlich Geduld. Gleich danach kommt Leidensfähigkeit, aber ich glaube, das hat keiner von uns während des Kurses ausprobiert.

Lohn der Mühen war eine aussichtsreiche Kammwanderung über größere und kleinere Gesteinsbrocken hin zu einem schmalen Gipfel mit gigantischem Ausblick auf die umliegenden (noch) gletscherbedeckten Gipfel.

 

 


Wofür bekommen wir die Punkte bei der Ärztekammer für so einen gelungenen Ausflug? Ahja, es ist ein Medizinerkurs. Bisher dachte ich immer, ich wäre der enthusiastischste Ultraschaller aller Zeiten. Als unser Sonospezialist sein geliebtes Gerät oben auf dem luftigen Gipfel auspackte und seine akribische Diagnostik an einem Mutigen begann, wurde ich eines Besseren belehrt. Über die Sinnhaftigkeit und Umsetzbarkeit dieser scheinbaren Spielerei sollten wir später in der Hütte noch viel mehr erfahren. Wer schon immer mal das Innere seiner Bergkameraden erkunden wollte, kam dabei voll und ganz auf seine Kosten.

Nun ging es ans Abseilen. Einer nach dem Anderen. Wieder war Geduld gefragt. Aber mit der überwältigenden Aussicht und der guten Unterhaltung, windgeschützt auf einem bequemen Stein sitzend, hätte ich noch ewig dort oben bleiben können.

Wir wollten aber unser Lager beziehen und Wein und Bier sollten auch nicht ungeöffnet zurücktransportiert werden. Nachdem alle ihre Zelte aufgebaut hatten, ging es ans gemeinschaftliche Kochen. Unter der Instant Expeditionsnahrung gab es äußerst köstliche vegane Varianten. Schließlich wollten alle für den Aufstieg zur 3556 m hohen Presanella am Folgetag ordentlich gestärkt sein. Ein ausgefüllter Tag ging mit der Vernichtung der mitgebrachten Köstlichkeiten vor der Kulisse der von der Abendsonne golden angestrahlten Granittürme langsam zu Ende. Bis tief in die Nacht arbeiteten wir an dieser Aufgabe.

Zeitig am Morgen weckte uns der Himmelsstrahler und so ging es etwas früher los als am Vortag. Disziplin ist eben auch ein Teil der Übung. Der Schnee war fester und das Gehen deutlich einfacher. Über einen langen Gletscher ging es seicht im Zickzack in fünfer und sechser Seilschaften nach oben zur Scharte. 

 


Für Weicheier wäre der Gipfelgrad sicher schwindelerregend gewesen. Zum Glück sind wir alle ganz Furchtlose. Am höchsten Berg der Umgebung bleiben die vorüberziehenden Wolken gern haften wie Zuckerwatte am Holzstiel. Entsprechend ist dann die Sicht. Wie oft schon habe ich diese immer gleiche Aussicht erlebt. Weiß, wohin man schaut. Aber das war egal. Der Weg ist das Ziel, und der war, gelinde gesagt, nicht langweilig. 


Zurück im Lager ging es ans Packen und den, wer wollte, individuellen Abstieg. Nun zeigte er sich wieder in voller Pracht, der Berg mit dem schönen Namen. Leichter nun und beschwingt waren wir bald zurück im Refugio und konnten uns den Fragen des Ultraschalls und der giftigen Tiere und Pflanzen widmen. Ein hervorragender Vortrag über die, leider zum Massentourismus verkommene, kommerziell angebotene Besteigung des höchsten Berges dieser Erde fesselte alle Teilnehmer bis der Ernst des Lebens von trentinischen Speisen, Getränken und Musik abgelöst wurde. Die gewaltige Stimme des Hüttenwirtes ließ die Berge vibrieren und die Herzen erzittern. Keiner von uns wollte wahrhaben, dass das der letzte Abend war.

Jetzt hatten wir so viel gelernt und auch angewendet, aber was, wenn man sich trotz guten Trainings verletzt? Oder, vielleicht nicht man selbst, aber irgendein anderer, ungeschickter Expeditionsteilnehmer? Abtransport im Biwaksack ist nicht so einfach, wie man denkt. Jeder Biwaksack ist anders und die zur Verfügung stehenden Mittel oft nur mit viel Phantasie anzuwenden. So Etwas kann man nicht oft genug durchspielen. Genauso wie die Verletztenbergung aus Situationen und räumlichen Gegebenheiten, die man lieber nie erleben möchte. Mit viel, ja, sehr viel Geduld, unterstützten uns unsere Bergführer in der Bewältigung dieser Herausforderungen.

So, genug des Geschwafels. Macht doch einfach selber beim nächsten Expeditionskurs mit!

Eingestellt von Katrin

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