November in den Pyrenäen

 
Da ich im Sommer zwei Monate unbezahlten Urlaub hatte, hat sich mein regulärer Jahresurlaub angesammelt und als nur noch der November als Urlaubsmonat zur Wahl stand, bemerkte ich, dass ich noch zwei Wochen frei nehmen konnte. Es war noch nicht wirklich Zeit zum Skitouren, dafür lag zum Wandern schon etwas zu viel Schnee. Weiter in den Süden wäre also gut. Erst kürzlich hatte ich von Kilian Jornet "Lauf oder Stirb" gelesen. Innerhalb von acht Tagen war er die 800 km vom atlantischen Ozean zum Mittelmeer gelaufen. Auch wenn mir das fern lag, so inspirierte es mich doch, dieses wunderschöne französisch-spanische Grenzgebiet zu erkunden. 
Mit dem Finger auf der Landkarte entschied ich mich für den Monte Perdido Nationalpark. Bis Lourdes kann man problemlos mit dem Zug fahren und dann von da aus weiter mit dem Bus bis Gavarnie. Dachte ich jedenfalls. Gavarnie ist ein kleiner Skiort der natürlich im November nicht oft besucht wird. Nicht nur, dass hier nichts geöffnet hatte, es gab auch keinen Bus dorthin. Dafür nette Franzosen die einen von Luz-St-Sauveur bis dorthin mitnahmen. 
Ich traf ein slovakisches Mädchen auf dem Weg nach Peru die noch ein paar Tage vor ihrer Abreise in den Bergen verbringen wollte und wir teilten uns ihr Air B&B. Essen erbettelten wir uns von der lokalen Bevölkerung. Viele Menschen waren nicht anzutreffen aber wir trafen ein sehr hilfsbereites Pärchen die uns mit Nudeln versorgten. Altes Öl gab es in der Unterkunft und ein kleines Stück Porree hatte ich  noch dabei.
Am nächsten Morgen regnete es, wie schon am Vortag. Das sollte sich auch nicht ändern. 
Dafür waren in der verschneiten Landschaft nicht viele Menschen unterwegs und ich hatte diese Idylle für mich allein. Über den Pass Port de Boucharo stieg ich zum Refuge de la Breche de Roland auf. Schon auf dem Weg Richtung Pass türmten sich von der spanischen Seite her undurchdringliche Wolken auf und in der Höhe wurde es recht windig. Am Ende des Aufstiegs führte ein eisiger Weg an einem halb gefrorenen Wasserfallbach entlang. Oben angekommen eröffnete sich mir ein atemberaubender Blick in ein von senkrechten Wänden eingefasstes Amphitheater. Dort befand sich die geschlossene französische Hütte mit nicht gerade gemütlichem Winterraum. Da es noch sehr zeitig war, wollte ich hoch zu dem 2800 m hohen Pass, der den Grenzdurchtritt nach Spanien bildete und dann unten in der Hütte übernachten. Der Weg war windig aber der Ausblick von oben übertraf unvorstellbarer Weise sogar den von der Hütte aus. Der Wind peitschte mir ins Gesicht aber ich konnte nicht wegschauen von dieser wunderschönen, weißen Landschaft. Direkt hinter der Mauer, auf der spanischen Seite, waren mehrere kleine Schlafplätze, sogar mit überhängendem Dach, wunderbar geschützt. So beschloss ich, noch einmal zur Hütte abzusteigen, meine Sachen zu holen und dort oben zu nächtigen. Von diesem Nachtlager aus den Sonnenunter- und -aufgang zu betrachten, musste herrlich sein. Ich ging also hinunter, packte meine bereits im Winterraum ausgebreiteten Sachen erneut und versuchte, loszustiefeln. Mittlerweile hatte der Wind nochmals zugenommen und jeder Schritt war so anstrengend, dass ich es sehr bald aufgab und doch in der Hütte blieb. Die Nacht war sehr stürmisch und es schneite. Trotzdem war ich etwas traurig, dass ich die Möglichkeit, dort oben zu bleiben, verpasst hatte. Aber ich hatte ja noch fast zwei Wochen vor mir. 
Am nächsten Tag lief ich über den Pass und traf sehr, sehr lange niemanden. Der Sturm nahm kaum eine Pause und die Wolken fegten über die Berge und Schluchten hinweg.
 
  
 Blick nach Spanien von der Brecha de Ronaldo, 2872 m, einem beieindruckenden Durchstieg zwischen zwei gigantischen Wänden zwischen Frankreich und Spanien.
 
 
 
Beim Abstieg Richtung Süden

Einer der zahlreichen Canyons die den Nationalpark durchziehen, links im Bild das Refugio de Goriz in dem ich später eine Nacht geblieben bin.

 

Im Refugio de Goriz sagte mir Ritxi, der Hüttenwirt, dass das Wetter die nächsten Tage immer ungemütlicher werden sollte und nahm mir beinahe jede Hoffnung, noch auf den Monte Perdido zu steigen. Ich hatte gar nicht damit gerechnet, dass die Refugios im November überhaupt geöffnet wären. Er sagte, dass die spanischen Hütten allesamt das ganze Jahr über bewirtschaftet wären. 

Da meine Rückfahrt von der französischen Seite von Montrejeau geplant war, musste ich wieder nach Frankreich kommen. Wegen des angekündigten, starken Schneefalls empfahl mir Ritxi, sobald als möglich den Weg zur Straße anzutreten, die nach Frankreich führt. Angeblich räumen die Franzosen die Straßen nicht und wenn einmal Schnee fällt, sei es schwer, dort wieder wegzukommen. 

Es war schon 17 Uhr und um sechs wurde es dunkel. Ich machte mich daher sogleich auf den Weg zu dem von ihm angegebenen Nachtlagerplatz. Das bedeutete noch mindestens zwei Stunden Wanderung und viele, viele steile Meter bergab, hinunter in die Schlucht zu einer kleinen Ebene in der sich mehrere Seitencanyons trafen. 

Eigentlich hatte ich nicht vor, einen Südfrankreich Urlaub zu machen, aber da ich zum Schluß irgendwie wieder über den Pass kommen musste, schien mir nichts anderes übrig zu bleiben.

Blick zurück

Die Nächte waren lang und es blieb viel Zeit nachzudenken. Das Gute war, dass ich noch mindestens zehn Tage zum Wandern hatte. Das Schlechte, dass das Wetter gegen mich arbeitete. Noch wollte ich nicht zurück. Ich entschied mich also, nach Süden durch einen schmalen Canyon mit steilen Seitenwänden abzusteigen. Eine weitere Möglichkeit eröffnete sich mir bei langem Blick auf die Karte. Ich konnte zurück zum Refugio Goriz und von dort wieder nach Gavarnie über den gleichen Pass, den ich auf dem Hinweg betreten aber nicht überquert hatte, Port de Boucharo. Das sollte auch bei viel Schnee und wenig Sicht gut machbar sein.

Beim Abstieg durch das Vale Anisclo

Während des Abstiegs durch den Canyon war es sonnig und warm und nicht vorstellbar, dass weiter oben in den Bergen ein Schneesturm toben sollte. Ich glaubte schon, an diesem Tag meine Chance der Besteigung des Monte Perdido verpasst zu haben. Obwohl es schon fast Ende November war, leuchteten die Bäume in den strahlendsten Herbstfarben und als ich in Sercue, einem wunderschönen, kleinen Bergdorf, angekommen war, zeltete ich dort mit Blick auf die flammengleich strahlenden Herbstwälder und in der Abendsonne glühenden, senkrechten Felswänden.

Auf dem Weg von Sercue zurück zum Refugio Goriz

 

Es ging über eine weite, mongolisch anmutende, äußerst windige Hochebene. Tatsächlich konnte ich nun glauben dass hier oben am Vortag der Sturm getobt hatte, auch wenn das Wetter weiter unten so lieblich anmutete.

Einen kleinen Ausflug unternahm ich auf einen Gipfel am Wegesrand. Immer wieder stehen bleibend und die Böen vorüber ziehen lassend. Ein phantastischer Ausblick bot sich von oben, bis zum See Embalse de Mediano weiter im Süden.

Sierra Custodia

durch diesen Canyon war ich einige Tage zuvor abgestiegen


Diesmal übernachtete ich im Refugio. Das Zelt bei diesem Sturm aufbauen wäre kein Vergnügen gewesen. Der Hauptgrund war jedoch, dass es wirklich lange Zeit dunkel war. Von dem vielen Liegen schmerzten mir schon alle Glieder. Also wollte ich die Vorzüge dieses sympathischen Refugios ausnutzen. Ritxi war erstaunt, mich nach zwei Tagen wieder zu treffen und empfahl mir aber nun wirklich, zu versuchen, so schnell wie möglich wieder auf die französische Seite zu gelangen. Ich wollte über den Cola de Caballo, einen Wasserfall am Ende eines langen Canyons, absteigen. Bis nach San Nicolas de Bujuarelo sollte ich kommen. Von da aus ging es nur noch bergauf bis zum Pass. Eine neunstündige, einfache Wanderung entlang eines wunderschönen Baches mit zahlreichen Wasserfällen. Am Eingang des Tals führt eine Straße bis zu einem Parkplatz und von da bis zum Cola de Caballo ein einfacher Weg. Da Wochenende war, waren hier zahlreiche spanische Touristen anzutreffen. 

Als es auf der anderen Seite wieder nach oben ging, traf ich kaum mehr jemanden.

Am Zeltplatz in San Nicolas angekommen, war dieser zwar geschlossen, aber ich konnte dort zelten. Die gesamte Nacht über schneite es. Die Sicht am nächsten Morgen war nicht vorhanden trotzdem entschied ich mich, den etwas steileren Weg über einen kleinen See zu nehmen. Der Weg verlor sich irgendwann unter dem immer tiefer werdenden Schnee und die Windböen wurden immer stärker. Mit Karte und Kompass navigierte ich mich zum Pass und erreichte irgendwann den Ibon de Bernatuara der sich in einer dichten Wolkensuppe zu verstecken versuchte. Naturgemäß lag auf der Nordseite nicht weniger Schnee. Es hatte auch nicht aufgehört zu schneien, im Gegenteil, es wurde immer mehr. Auf meiner Karte war eine kleine Hütte eingezeichnet, bis dorthin wollte ich gehen. Von diesen nur wenige Quadratmeter großen, schlichten Schutzhütten gab es zahlreiche. Es war perfekt, konnte ich mich doch dort häuslich einrichten und musste nicht am nächsten Morgen im Schneegestöber mein Zelt packen. Mein Schlafsack war ohnehin mittlerweile durchnäßt und da er von meinen vorherigen Reisen schon etwas mitgenommen war, war die Daunenverteilung nun suboptimal. Trotzdem fand ich es ganz gemütlich und war sehr froh, nach Stunden des durch den immer matschiger werdenden Schnees Laufens nun eine trockene Bleibe zu haben. 

Am nächsten Tag schneite es immer noch. Ich stieg nach Gavarnie ab. Irgendwann verlor ich den Weg und lief einfach nach unten. Dort gelangte man zu einer Straße die nach Gavarnie führte, jedoch von meiner Seite des Berges durch einen Bach getrennt war. Wie es der Zufall wollte, kam ich genau an einer kleinen Brücke heraus und so stellte auch die Überquerung des Baches kein Problem dar.

Doch wollte ich noch nicht zurück in die Zivilisation. Auf einem braunen Schild las ich den Namen einen Sees und beschloss, dort zu übernachten. Ein nettes französisches Pärchen nahm mich ein Stück mit. Die restliche Straße zu dem Stausee war gesperrt und verschneit. Kein Mensch war dort. Diese kleine Birke erfreute mein Fotografenherz. Nicht weit davon schlug ich mein Zelt an einer der zahlreichen Hütten auf. Dort war ein ebener Platz mit wundervoller Aussicht. Jedenfalls wäre die Aussicht wundervoll gewesen, wäre es nicht so stark bewölkt gewesen. Es schneite immer noch.

Über Nacht wurde es so warm, dass sich der Schneefall in Regen wandelte. Es schiffte wie aus Kübeln.

Mein letzter Zeltplatz am Barrage de Glorriettes

 

Als die lange Nacht irgendwann zu Ende war, regnete es immer noch. Schnell baute ich mein Zelt zusammen und machte mich an den Abstieg. Jetzt brauchte ich wirklich eine trockene Unterkunft. Obwohl die Straße, die unten am Stausee vorbei führte, kaum befahren war, wurde ich nach nur wenigen Minuten auf ihr auch schon eingesammelt. Es ist erstaunlich, wie gut man auch mit nur minimalen Französischkenntnissen zurecht kommt. 

Im Handumdrehen war ich in Luz Saint Sauveur. Da hier die billigste Unterkunft immer noch über 60€ kostete, das Busticket aber nur 2€, beschloss ich, zurück nach Lourdes zu fahren, mir dort ein günstiges Zimmer zu nehmen und von da kleine Tagesausflüge zu unternehmen.

Es war eine gute Entscheidung, denn bis auf meine letzten beiden Urlaubstage regnete es ununterbrochen. Trotzdem war es ein wunderschöner Ausflug. Nun habe ich ein neues Ziel. Nächstes Jahr ist schon verplant, aber die weitere Erkundung der Pyrenäen, steht demnächst auf dem Programm.
 




Eingestellt von Katrin

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