Sowjetistan

 

Am 29.05.2023 sollte es endlich losgehen. Zur Eingewoehnung hatte ich mir ein Buch namens Sowjetistan von der norwegischen Journalistin Erika Fatland gekauft. Die letzte Woche in Europa verbrachte ich in der alten Heimat und besuchte Familie und Freunde in Halle und Jena. Schwer fiel das zeitige Aufstehen nicht, da ich nun doch langsam etwas aufgeregt war. Meine Eltern brachten mich in aller Fruehe zum Bahnhof in Halle. Der Zug fuhr puenktlich um 6:18 Uhr ab, um genau drei Stunden spaeter am frankfurter Flughafen einzutreffen. Diesmal hatte ich mir eine erste Klasse Fahrt gegoennt. Auch wenn es nur fuenf Monate des Reisens werden sollten, so benoetigte ich nun doch allerhand Ausruestung fuer die hohen Berge und stopfte meine beiden Rucksaecke voll nuetzlicher Dinge.

Insgesamt drei Rucksaecke sollten meine Begleiter werden: ein grosser 110 l Rucksack von Bergans, ein normaler 70 l Wanderrucksack von Vaude mit dem ich schon einige Touren erlebt hatte und mein kleiner Tages- bzw. Gipfelrucksack von Samaya.

Von Ihnen hatte ich auch mein Zelt das mich in letzter Zeit ganz schoen beschaeftigt hatte, da mir puenktlich vor Abreise in den schweizer Alpen eine meiner Stangen brach. Zum Glueck funktionierte die Kommunikation so gut, dass ich noch vor Abreise einen Ersatz zu meinen Eltern geschickt bekam. Von Yeti hatte ich einen neuen Expeditionsschlafsack bekommen, da mein alter von der letzten Reise komplett zerlegen war und nicht mehr fuer eisige Naechte taugte. Auch benoetigte ich einen neuen Kocher. Mein MSR Reactor ist perfekt, doch fuer die grossen Hoehen sollte es nun ein Multi Fuel Kocher werden. Die ersten Kaempfe hatten wir bereits am Piz Palue ausgefochten. Die weitere Fuellung der beiden grossen Rucksaecke uebernahmen meine 8000er Schuhe von Scarpa, Steigeisen,Eispickel, Kletterausruestung, ein ultra leichtes Seil, RAD line, von Petzl, das ich noch in letzter Sekunde von meinem Lieblingsladen in Halle, Payola, abholen konnte, meine warmen Daunensachen die ich schon in Suedamerika getragen hatte und natuerlich auch ein paar ganz normale Klamotten.

Diesmal ging sogar ein kleines Notebook mit auf Reisen. Ich hatte es 2009 auf meiner ersten USA Reise in Utah erstanden und dachte bei mir, dass der Verlust dieses Gegenstandes leicht zu verschmerzen waere.

Mein Flug hatte Verspaetung, trotzdem klappte der Anschluss in Istanbul problemlos. Leider konnte ich wegen des verdammten Krieges meinen initialen Plan, mit dem Zug durch Russland nach Duschanbe, Tajikistan, zu reisen, nicht umsetzen und musste auf die luftigere Variante ausweichen.

Um fuenf Uhr morgens kam nicht nur ich, sondern erstaunlicherweise auch mein Gepaeck puenktlich in Almaty an. Ein Taxifahrer brachte mich zum ruhig im Norden Almatys gelegenen DA Hostel. Auf den Check In musste ich noch acht Stunden warten, konnte aber mein Gepaeck bereits deponieren und machte mich auf den Weg, das Buero des Altyn Emel NP aufzusuchen. An sich gelang mir das auch, nur, dass das Buero dort nicht war. Angeblich wegen Umbauarbeiten. Auch in der Touristeninformation konnte mir nicht wesentlich weiter geholfen werden. Es gibt verschiedene Agenturen die Ausfluege in die umliegenden Nationalparks anbieten, aber eigentlich wollte ich einfach nur hin und fuer mich wandern.

Der Flug nach Duschanbe ging ueber Almaty. Nachdem ich auf der Karte gesehen hatte, dass es um Almaty herum einiges Schoenes zu entdecken gab, entschied ich mich, gleich dort auszusteigen. Die uebrigen Stanlaender wollte ich dann per Zug und Bus erkunden. Besonders ins Auge gefallen war mir der Altyn Emel NP nordoestlich der Stadt.

Ueber die Homepage des Parks wollte ich die Anreise organisieren. Leider schien mein Vorhaben, allein durch den Park zu wandern, so ungewoehnlich, dass es auch nach mehreren Versuchen nicht klappte.

Am folgenden Tag fuhr ich mit dem Bus nach Medeu, dem groessten Eisschnelllaufstadion der Sowjetunion das nun, genauso wie sein Heimatland, der Vergangenheit angehoerte. Die Tueren des vollgequetschten Busses schlossen gerade noch hinter mir. Platz fuer Thoraxexkursionen blieb kaum. Aufatmen konnte ich erst wieder an der Endhaltestelle wo es ungefaehr 300 Hm die Treppen hinaufzusteigen gilt. Weiter ging ich zum fuenf Kilometer entfernten Alplager wo ich mit zwei Bergstgeigern ins Gespraech kam die ich nach Aussichten, einen Bergpartner im Camp zu finden fragte. Es sei sehr schwierig, aber einer sei gerade abgereist, da er keinen Partner finden konnte, obwohl er der netteste Mensch der Welt sei. Sie leiteten umgehend meine Daten weiter und noch am gleichen Abend traf ich Sewa in dem niedlichen EvergreenHostel am Botanischen Garten, das ich nur per Zufall ansteuerte, um irgendwo WLAN nutzen zu koennen, um den Kontakt herzustellen. Die Beschreibung der Jungs vom Alplager passte sehr treffend auf den vagabundierenden Kletterer.

Wie sehr viele junge, intelligente Russen war auch er aus seinem Heimatland geflohen, da er es nicht mit seinem Gewissen vereinbaren konnte, in einem kriegfuehrenden Land zu leben das permanent seine Bevoelkerung beluegt. 

 Wir verabredeten uns gleich fuer einen Ausflug zum Alplager (ca. 8 Euro pro Nacht) am naechsten Tag und wollten dann dort entscheiden, was wir klettern wollten. Es sollte etwas Kurzes werden, da er am darauffolgenden Tag Freunde in Bishkek, Kirgistan, und am Montag seine Freundin in Georgien besuchen wollte.

Sonnenuntergang vom Alplager aus, Ile Alatau NP

Auf dem Weg zum kleinen Oktober
oben

Rueckweg zum Alplager

Nach kurzem Sportklettern und einer kleinen Uebungstour am laufenden Seil erklommen wir am naechsten Tag, es war bereits Sonntag, den kleinen Oktober (benannt nach der Oktoberrevolution). Es war sehr leichte Kletterei zu einem aussichtsreichen Gipfel auf ca. 3400 m, der uns noch am Vorabend gluehend im Sonnenuntergang entgegenleuchtete. Ausser zum Abseilen haette man das Seil eigentlich nicht gebraucht und auch die Steigeisen waren nicht wirklich von Nutzen. Mit dem Wetter hatten wir grosses Glueck. Als Sewa zuvor in der Gegend war, hatte es wohl so viel geregnet und geschneit, dass er kaum zum Klettern gekommen sei.

Puenktlich fuenf Minuten vor Abfahrt des Busses waren wir am Busbahnhof und quetschten uns in das Transportmittel nach Bishkek. Nach einem reibungslosen Grenzuebertritt war dieses dann allerdings verschwunden. Mitten in der Nacht kamen wir bei Sewas Freunden Evgenii und Eliza an und wurden sogar um diese spaete Stunde noch mit leckerer Gemuesesuppe empfangen.

Auch die beiden waren samt ihrer beiden Kinder aus Russland ausgezogen. Evgenii hatte bei einer Social Media Plattform gearbeitet und konnte die Restriktionen nicht mehr ertragen.

Uebers Wochenende sollte es in den Ala Archa NP gehen, Evgeniis zweites zu Hause. Wir brachen nicht sehr zeitig auf, da wir nur bis zum Camp wollten und erst am naechsten Tag klettern. Zwei seiner Arbeitskollegen mit dem gleichen Schicksal waren ebenfalls mit dabei, wollten aber nur Wandern gehen.



Sewa und Eliza kurz vor dem Ratsek Camp
Bergcamp Ratsek im Ala Archa NP Kirgistan
 

Die Hitze unten in der Stadt war bereits unertraeglich geworden. Erstaunlich schnell aenderte sich das, als wir im Lager ankamen, wo wir mit Kaelte und Schneefall empfangen worden. Bevor wir in der kleinen Bar Zuflucht suchten verabschiedete sich der abwechslungsreiche Tag mit einem pompoesen Sonnenuntergang. 




Sewa und ich bestaunen den Sonnenuntergang am Ratsek Camp



 

Evgenii und seine Kollegen schliefen in der Huette, Sewa im Zelt und ich machte es mir, nachdem sich die Wolken verzogen hatten und der Himmel sternenklar erstrahlte, draussen gemuetlich. Puenktlich nachdem ich kurz nach sechs Uhr am naechsten Morgen aufgestanden war, begann es wieder zu schneien. Der Wind hatte mich bereits in der Nacht mehrere Male aufgeweckt. Wie Kletterwetter sah es nun ganz und gar nicht mehr aus. Wir machten es uns also unter dem Vordach der kleinen Huette gemuetlich und tranken Tee und Kaffee. Spaeter verzogen sich zwar die Wolken und es hoerte auf zu schneien, der Wind aber blieb. Am Himmel sah man die Wolken nur so dahin sausen. So unternahm ich nur einen kleinen Ausflug auf einen nahe gelegenen Huegel. Da allein die Huette schon auf 3300 m lag, war es trotzdem eine gute Akklimatisierungswanderung. Der Blick auf den riesigen Coronagletscher mit dem kleinen Gletschersee war fantastisch. 

 



Peak Ratsek (3972 m)

Sewa hatte es sich waehrenddessen bequem gemacht und verschwand in seinem Buch.

Nachdem ich von meinem Ausflug zurueck gekehrt war, genossen wir noch in aller Ruhe einen Tee und machten uns dann an den Abstieg. Da Sewa am naechsten Morgen von Almaty nach Georgien fliegen wollte, fuhren wir noch am gleichen Abend, diesmal mit Taxi, zurueck.

Die Fahrt bereitete mir etwas Bedenken und ich befuerchtete beinahe, nun schon den letzten Abend meines Urlaubs zu erleben. Wenn auch nervlich etwas gebeutelt, so erreichten wir doch koerperlich unversehrt gegen elf Uhr abends die groesste Stadt Kasachstans und verabschiedeten uns am Strassenrand. Ich hoffe, dass der kleine Oktober nicht unser letzter gemeinsamer Gipfel war.

Nach langem Hin- und Herueberlegen habe ich mich nun doch entschieden, die Touren zu den Wuesten NP zu buchen. Ueber einen Hostelmitbewohner hatte ich einen Kontakt zu Steppe Spirit erhalten. Zur Bezahlung wollte ich deren Buero aufsuchen. Daraus wurde eine etwas laengere Unternehmung. Mehrmals fragte ich um Hilfe bei der Wegfindung, wobei die Kasachen wirklich sehr hilfsbereit sind und sofort ihr Mobiltelefon um Rat fragen, um das Problem zu loesen. Mehr noch als in Deutschland fiel mir jedoch auf, wie beinahe jeder permanent auf sein Handy schaut. Ob im Auto, im Bus, beim Gehen auf dem Buergersteig, im Cafe… Diese Sucht ist hier omnipraesent. Auch ich war nun, um mit den Touranbietern in Kontakt zu bleiben, auf dieses nervtoetende Utensil angewiesen. Fuer die Nutzung der oeffentlichen Verkehrsmittel habe ich mir, auf Anraten des Maedchens in der Touristeninformation, die App 2Gis heruntergeladen. Wirklich ist diese fuer die Fortbewegung in der Stadt sehr hilfreich, auch wenn die langen Wege zu Fuss durch ungewoehlich viele, gruene Parkanlagen fuehren und breite Gehwege sowie perfekt aufeinander abgestimmte Ampeln das Fussgaengerdasein erleichtern. Auch die Dichte an huebschen Cafes ueberraschte mich. Insgesamt ist Almaty fuer eine Grossstadt gar nicht so sehr haesslich. Im Sueden sieht man die nahen, immer noch verschneiten, hohen Berggipfel. Frueh morgens ist der Verkehr noch ertraeglich, spaeter wird die Luft zusehends schneidbar. Die sozialistischen Prunkbauten und zahlreichen Denkmaeler erstrahlen in der Steppensonne. Ueberall schiessen, scheinbar fuer die Ewigkeit gemachte, futuristische Bauwerke in die Hoehe, deren kurze Zukunft, machen sie es ihren dahinvegetierenden Vorgaengern gleich, schon bald der Vergangenheit angehoeren wird. Aber zum Glueck hat ja der Praesident beschlossen, dass ab 2050 alles perfekt sein soll. 






 

Eingestellt von Katrin

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